Verhaltenskodex für Abgeordnete
Der Verhaltenskodex ist eine freiwillige Selbstverpflichtung für Abgeordnete. Er verpflichtet zu Transparenz und klaren Regeln und geht weit über die bestehenden, völlig unzureichenden Regularien hinaus.
Alle Unterzeichner verpflichten sich u.a.:
- Nebeneinkünfte zu begrenzen und vollständig offenzulegen.
- Treffen mit Lobbyist*innen zu veröffentlichen.
- Keine Geschenke anzunehmen.
- Sich für ein verbindliches Lobbyregister einzusetzen.
Der Kodex wurde von Gerhard Schick, ehemals Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, und mir parteiübergreifend erarbeitet. Bisher haben 55 Abgeordnete den Kodex unterschrieben, davon sind aktuell 40 Abgeordnete in der 19. Legislaturperiode im Bundestag (Stand März 2021).
Verhaltenskodex für Abgeordnete des Deutschen Bundestages
Präambel
Skandale, Intransparenz und übersteigerter Lobbyismus schaden der Glaubwürdigkeit und Integrität von Politikerinnen und Politikern. Das führt dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die von ihnen gewählten Volksvertreterinnen und Volkvertreter verlieren und damit auch in die Institutionen der parlamentarischen Demokratie und in unsere Demokratie als solche.
Vor diesem Hintergrund ist eine Diskussion über Verhaltensregeln von Abgeordneten unerlässlich. Denn Abgeordnete übernehmen eine wichtige Verantwortung, die ihnen von den Bürgerinnen und Bürgern für eine Legislaturperiode übertragen wird.
Der Bundestag sollte das politische Zentrum unseres Staates sein, die »Entscheidungsmitte« unserer parlamentarischen Demokratie. Ziel muss es sein, das Vertrauen in diese Institution zu stärken, indem man von den Abgeordneten des Bundestags verabschiedete Verhaltensregeln etabliert, die weitreichender sind als die bestehenden Regelungen, etwa bei der Transparenz der Nebeneinkünfte. Solange es solche verpflichtende Regeln nicht gibt, kann die freiwillige Selbstbindung an einen Kodex ein erster Schritt sein.
Der Kodex baut auf den bestehenden Regelungen auf, beispielsweise darauf, das Hauptaugenmerk auf die Abgeordnetentätigkeit zu legen (vgl. § 44a Abs. 1 Abgeordnetengesetz), über Geldspenden und geldwerte Zuwendungen aller Art, die für die politische Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden, gesondert Rechnung zu führen (vgl. § 4 Abs. 1 Verhaltensregeln) (etwa mittels eines Spendenbuches) sowie die für die mandatsbezogene Arbeit zur Verfügung gestellten Ressourcen (Mitarbeiter*innen, Büroräume, Fahrdienst, Beschaffungen nach dem Sachleistungskonto, Auslandsreisen) nicht für private Zwecke oder für die Ausübung von Nebentätigkeiten zu entfremden.
Verhaltensregeln
Als Abgeordnete/r verpflichte ich mich mit der Unterschrift unter diesen Kodex zur Einhaltung der unten stehenden Verhaltensregeln und dazu, in meiner Fraktion für die im zweiten Teil aufgeführten Forderungen zu werben. Mit der freiwilligen Selbstbindung an diesen Kodex möchte ich außerdem mit gutem Beispiel vorangehen und die Diskussion um Verhaltensregeln für Abgeordnete vorantreiben.
Wenn ich an einzelnen Stellen begründet abweiche, ist es trotzdem möglich den Kodex als Ganzes zu unterzeichnen („comply or explain“). Es ist selbstverständlich, dass ein solcher Kodex nicht jeden Einzelfall abdecken kann, deswegen stellt eine erklärte Abweichung ausdrücklich kein Fehlverhalten dar.
Ich verpflichte mich dazu,
I. Einkünfte und Vergünstigungen
- alle Nebenverdienste in ihrer exakten Höhe unter Nennung aller Auftraggeber*innen in regelmäßigen Abständen offenzulegen (das gilt nicht bei schutzwürdigen Interessen Dritter, bei gesetzlichen oder vertraglichen Verschwiegenheitspflichten. Im Falle einer Offenlegung des Steuerbescheids sind Interessen der Familienmitglieder bei gemeinsamer Steuerveranlagung zu schützen und deren Angaben zu schwärzen.), dazu gewähre ich z.B. Einsicht in meinen Steuerbescheid oder finde eine andere Möglichkeit, eine hohe Transparenz zu ermöglichen.
- meine Nebenverdienste zu begrenzen und daher
- höchstens drei entgeltliche Tätigkeiten als Mitglied eines Vorstandes, Aufsichtsrates, Verwaltungsrates, Beirates oder sonstigen Gremiums einer Gesellschaft, eines in einer anderen Rechtsform betriebenen Unternehmens, einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts anzunehmen,
- keinerlei entgeltliche Funktionen in Unternehmen, Verbänden oder anderen Organisationsformen der Interessenvertretung, deren Tätigkeitsfeld mein politisches Fachgebiet betrifft, anzunehmen,
- sämtliche entgeltliche publizistische, Gutachter- und Vortragstätigkeiten in regelmäßigen Abständen offenzulegen.
- meine Nebenverdienste, die aufs Jahr gerechnet mehr als die Hälfte der Abgeordnetendiät betragen, an eine gemeinnützige Organisation zu spenden.
- jede Geldspende und geldwerte Zuwendungen, die mir für meine politische Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden (Abgeordnetenspenden), die einen Wert von 1.000 Euro übersteigt, unter Angabe des Namens des Spenders, offenzulegen.
II. Umgang mit Lobbyisten
- alle meine verabredeten Treffen mit Interessenvertreter*innen durch Nennung des Namens der Institution transparent zu machen, indem ich sie in regelmäßigen Abständen z.B. auf meiner Internetseite veröffentliche. Dies bezieht sich auf Treffen mit Personen, die von Verbänden, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen direkt (etwa als Vorstände, Geschäftsführende oder Mitarbeiter*innen) oder indirekt (etwa über Agenturen oder Kanzleien) mit der Ansprache von politischen Entscheidungsträger*innen beauftragt sind. Nicht zu veröffentlichen sind selbstverständlich Treffen mit Hinweisgeber*innen, die von den Institutionen, für die sie tätig sind, nicht mit der Ansprache von politischen Entscheidungsträger*innen beauftragt wurden oder das ohne Wissen ihrer Institution tun.
- nach Beendigung meiner Abgeordnetentätigkeit für mindestens drei Jahre keiner entgeltlichen Tätigkeit für Unternehmen, Verbände oder andere Organisationen nachzugehen, die zu einem erheblichen Teil aus Lobbyarbeit besteht.
- von Unternehmen und Interessensvertreter*innen keine Geschenke oder Essenseinladungen über einem Wert von 100 Euro anzunehmen (Ausnahmen sind möglich z.B. bei Essenseinladungen bei offiziellen Delegationsreisen der Ausschüsse des Deutschen Bundestages. Diese sollten aber begründet werden.)
- von Unternehmen und Interessenvertreter*innen generell keine Einladungen zu sogenannten Events (Konzerte, Sportveranstaltungen etc.) und Reisen anzunehmen, die einen Wert von 50 Euro übersteigen – außer ich komme selbst für die Kosten auf. In den Fällen, in denen eine Annahme einer Einladung, die den Wert von 50 Euro übersteigt, aufgrund der Wahrnehmung einer Tätigkeit mit Bezug zu meinem politischen Fachgebiet geboten erscheint, lege ich sie mit Angabe des Einladenden, des Tages, des Namens der Veranstaltung und des geschätzten Wertes offen. Einladungen für Familienangehörige werden grundsätzlich nicht angenommen.
- bei meinen Terminen mit Interessengruppen auf Ausgewogenheit zu achten, damit nicht nur finanzstarke und gut organisierte Gruppen meine Aufmerksamkeit erhalten, sondern auch Positionen angemessen berücksichtigt werden, die von keiner finanzkräftigen Lobby vertreten werden.
- meinen Mitarbeiter*innen eine Zustimmung zur Annahme von Belohnungen, Geschenken oder Essenseinladungen in Bezug auf ihre Tätigkeit über einem Wert von 100 Euro nicht zu erteilen und sie zu verpflichten, mir sämtliche Zuwendungen anzuzeigen.
III. Abgrenzung dienstlich – privat
- Einzeldienstreisen ins Ausland generell in einem Reisebericht, den ich an geeigneter Stelle z.B. auf meiner Internetseite veröffentliche, transparent zu machen. Ich werde offen legen, wann ich weshalb wohin reise, auf wessen Einladung die Reise erfolgt, wer die Kosten trägt und ob die Dienstreise mit einer privaten Reise verbunden wurde.
Forderungen
Ich sichere zu, mich im Deutschen Bundestag und in meiner Fraktionen zumindest für folgendes einzusetzen:
- Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters.
- Einrichtung einer permanenten Kommission beim Deutschen Bundestag, die Zweifelsfragen und Unklarheiten in Bezug auf das rechtlich richtige Verhalten von Abgeordneten löst. Diese Kommission soll keine Fachabteilung der Verwaltung sein. Sie soll sowohl mit Abgeordneten, als auch mit Fachexperten, die durch die Fraktionen benannt werden, besetzt sein. Darüber hinaus soll eine Art „help-line“ bei der Verwaltung des Bundestages eingerichtet werden, die in konkreten Fällen rechtlich berät.
- Gewährleistung der Unabhängigkeit der Abgeordneten, z.B. durch eine bessere personelle Ausstattung der einzelnen Parlamentarier*innen und eine personelle Stärkung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.
Verhaltenskodex als PDF-Download
Erst 39 der aktuell 709 Bundestagsabgeordneten haben den Verhaltenskodex unterschrieben! (Stand Juli 2020)
Fordern Sie die Abgeordneten aus ihrem Wahlkreises auf, sich zu Transparenz und Ehrlichkeit zu verpflichten. Schreiben Sie ihrem Abgeordneten einfach eine E-Mail oder rufen an. Fragen Sie freundlich nach einer Stellungnahme zum Verhaltenskodex.
Hier finden Sie die Abgeordneten aus ihrem Wahlkreis.
Wir müssen den Vertrauensverlust in unsere Demokratie nicht einfach hinnehmen. Wir können handeln! Teilen Sie den Verhaltenskodex für Abgeordnete auf Facebook und Twitter.
Unterzeichnende
(fett gedruckt: aktuell Mitglieder des 19. Bundestages, kursiv: nicht mehr Mitglieder des Bundestages)
Leni Breymaier
Marco Bülow
Eva Bulling-Schröter
Edelgard Bulmahn
Petra Crone
Fabio De Masi
Anke Domscheit-Berg
Saskia Esken
Ute Finckh-Krämer
Sylvia Gabelmann
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Gabriele Hiller-Ohm
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Uli Kelber
Katja Kipping
Cansel Kiziltepe
Daniela Kolbe
Katrin Kunert
Caren Lay
Sylvia Lehmann
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Thomas Lutze
Hilde Mattheis
Beate Müller-Gemmeke
Alexander Neu
Martin Patzelt
Harald Petzold
Richard Pitterle
Simone Raatz
Mechthild Rawert
Sönke Rix
Martin Rosemann
René Röspel
Susann Rüthrich
Annette Sawade
Axel Schäfer
Nina Scheer
Gerhard Schick
Matthias Schmidt
Swen Schulz
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Petra Sitte
Mathias Stein
Kersten Steinke
Margit Stumpp
Kirsten Tackmann
Kathrin Vogler
Waltraud Wolff
Birgit Wöllert
Was bedeutet…
Der/die Abgeordnete hat die Möglichkeit, von einzelnen Verhaltensregeln, die der vorliegende Kodex aufstellt, abzuweichen bzw. diese nicht zu befolgen. In diesem Fall ist es trotzdem möglich, den Kodex im Ganzen zu unterzeichnen. Dafür ist es allerdings erforderlich, im Falle eines Abweichens von bzw. Nichtbefolgens einer Verhaltensregel dies öffentlich zu begründen. Beispielsweise müsste ein/eine Abgeordnete, der/die mehr als drei bezahlte Tätigkeiten als Mitglied eines Vorstandes, Aufsichtsrates, Verwaltungsrates o.ä. wahrnimmt, angeben, dass er/sie die Verhaltensregel (unter I. 1.) nicht befolgt. Damit einhergehend könnte er/sie darlegen, weshalb sein/ihr Hauptaugenmerk trotzdem auf der Abgeordnetentätigkeit liegt und nicht auf den Nebentätigkeiten.
Gleichfalls ist es möglich, dass der/die Abgeordnete eine Verhaltensregel zwar grundsätzlich befolgt, aber in Einzelfällen davon abweicht. Auch hier gilt „explain“: Eine Abweichung muss öffentlich begründet werden
Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass der/die Abgeordnete nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag eine Funktion begleitet, bei der es ausschließlich um die Ansprache der politischen Entscheidungsträger geht, zu denen er oder sie vor kurzem noch selbst zählte. Oftmals ist es so, dass Verbände, Unternehmen oder Consultingfirmen ehemalige Abgeordnete gezielt anwerben und beschäftigen, um von deren im Rahmen des Mandats erworbenen persönlichen Kontakten und Netzwerken zu profitieren. Solche „Drehtür- Effekte“ gilt es zu vermeiden.
„Zu einem erheblichen Teil aus Lobbyarbeit“ besteht eine Tätigkeit jedenfalls dann, wenn man sich in ein noch zu schaffendes öffentliches Lobbyregister eintragen müsste. Hierbei könnte man sich an anderen zeitlichen Schwellenwerten orientieren. In den USA liegen diese bei 20 % Lobbyarbeit in drei Monaten. Eine genaue Grenzsetzung ist natürlich nicht immer möglich, im Zweifel man solche Tätigkeiten nicht annehmen.
Unbenommen wäre es dem/der Abgeordneten also, etwa in der Research-Abteilung eines Verbandes oder eines anderen Interessenvertreters zu arbeiten. Denn hier dürfte es sich um eine Tätigkeit handeln, die zu einem unerheblichen Teil aus Lobbyarbeit besteht.
Treffen müssen nicht veröffentlicht werden, wenn es sich um Hinweisgeber handelt, die von ihrer Organisation nicht mit der Ansprache eines Abgeordneten beauftragt wurden und die evtl. geheime Informationen weitergeben. Selbstverständlich müssen auch Treffen mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen, die politisch verfolgt werden, nicht öffentlich gemacht werden. Hier ist eine Abweichung gemäß der Regel „comply or explain“ sinnvoll.
Selbstverständlich ist es nicht bei jeder Einladung oder bei jedem Geschenk möglich, den genauen Geldwert mit vertretbarem Aufwand festzustellen. Eine Annahme oder nicht Annahme liegt im Ermessensspielraum der/des einzelnen Abgeordneten.
Der Verhaltenskodex ist rechtlich nicht bindend, das kann er als Selbstverpflichtung auch nicht sein. Auch sind nicht alle Regelungen des Verhaltenskodex so ausgestaltet, dass sie später eins zu eins in eine verbindliche rechtliche Norm für alle Abgeordneten überführt werden könnten. Das ist aber auch nicht erforderlich. Der Kodex zielt auf einen Kulturwandel ab. Dieser sollte, wo möglich, zu besseren verbindlichen Verhaltensregeln führen. In den Bereichen, die nicht verbindlich geregelt werden können, kann eine Änderung von Verhaltensweisen dadurch vorangebracht werden, dass Maßstäbe diskutiert werden und sich der Blick von uns Parlamentariern und der Öffentlichkeit auf bestimmte Fragestellungen ändert. Beide Wege des Kulturwandels hat dieser Kodex im Blick.